Die Geschichte nahm ihren Lauf, aus Helvetiern wurden Gallo-Romanen, und im 5. und 6. Jh. kamen dann die Burgunder und die Alemannen dazu. Bis ins 4. Jh. überlebten einige gallischen Götter auch bei uns, Seite an Seite, oder manchmal sogar unentwirrbar vermengt, mit dem römischen Kult und orientalischen Mysterien. Das Christentum war zunächst einfach ein weiteres Element in dem Mix, und die Volksreligion, wie sie im Mittelalter und schliesslich in der Frühmoderne bestand, ist so etwas wie ein Sediment aus all diesen Einflüssen.
Wieso soll die Christianisierung ein schärferer Einschnitt gewesen sein als etwa das Verbot des Druidentums unter Tiberius, oder etwa die "nordthrakisch-kimmerischen" Einflüsse, die die bronzezeitlichen Kultformen verdrängten und den Grundstein für das legten, was uns später als "keltisch" oder "germanisch" entgegentritt... Der eigentliche Einschnitt fand statt mit der Reformation, Gegenreformation und schliesslich der Moderne und ihrer Post-Religiosität; wobei die zwinglianische Landeskirche in ihrer Postreligiosität nun offenbar den Kreis zu schliessen wild entschlossen ist, zumindest einzelne Pfarrerinnen ,die "keltische Kraftorte" zelebrieren (die erwünschten Druidinnen bleiben historisch unbelegt, aber wozu historische Druidinnen, die Erben Zwinglis holten dieses Versäumnis der Geschichte noch zwei Jahre vor Mists of Avalon nach, und dreissig Jahre später ist der Unterschied zwischen Wicca und Zwinglianismus so gut wie verschwunden.)
Hier möchte ich einmal einsammeln, was über gallische bzw. gallo-romanische Götter in der Schweiz bekannt ist. Eine gute Zusammenfassung zum Thema finde ich beim Jesuiten Prümm (1954) "zur kaiserzeitlichen Religionslage in der Schweiz", basierend auf Vorarbeit von Felix Stähelin, Die Schweiz in römischer Zeit (1931)
Caturix, oder Mars Caturix (wobei catu-rix (=Hadurih) soviel heisst wie "warlord") scheint ein echt helvetischer Gott zu sein, vielleicht sogar der Hauptgott der Helvetier, oder zumindest der helvetischen Kriegerkaste. Weihinschriften an Mars Caturix haben wir aus der Waadt (Avenches, Yverdon, Pomy bei Yverdon, Nonfoux und Riaz bei Bulle). Wohl benannt nach diesem Gott, und ursprünglich vielleicht verwandt oder identisch mit den Helvetiern, sind die Caturiges, die weiter südlich auf den Alpenpässen nach Italien sassen. Cicollos wird in einer Inschrift in Windisch angerufen. Sein Name wird verstanden als "fleisch-mächtig, muskelkräftig"; dies mag ein Beiname des Kriegsgottes Caturix gewesen sein, den wir uns demnach als sehr gutgebaut vorzustellen hätten, ein richtiger Herkules (in einer Inschrift in Augst heisst er ausserdem "der Grosse", Mars Magianus, und ich frage mich sofort, ob die Mode der Herkuleskeulen-Amulette, die hierzulande im 3. Jh. aufkam, mit diesem Gott in Zusammenhang steht? Diese Herkuleskeulen wurden in der Völkerwanderungszeit zu elbegermanischen Donarskeulen umgedeutet und wurden schliesslich (wohl in Anlehnung an die christlichen Kreuz-Amulette) zu den wikingerzeitlichen Thorshammer-Anhängern (von denen man nebenbei gesagt weiss, dass sie Frauenschmuck waren; das könnte vielleicht jemand mal den harten Jungs weitersagen, die heute damit herumlaufen). Eine Cantusmerta oder Cantismerta scheint die Frau des Mars Caturix zu sein, wohl dieselbe wie Rosmerta (und der gallische Mars heisst auch Smertrios. Das Element smert- wird zu smeru "Fett" gestellt, gut möglich, dass sich das, wie unser Wort Gott wohl auch, auf das Einfetten von Kultfiguren bezieht). Das Paar Caturix und Cantusmerta (Mars und Rosmerta) hatte Kapellen in Allmendingen bei Thun. Gleich daneben waren auch Kapellen, die dem Mithras geweiht waren, in einer beispielhaften "einheimisch-orientalischen Kultmischung" (Prümm).
Lugus, der "dreieinige" Gott der Kelten, ist im Dativ Plural erwähnt in einer Inschrift in Avenches (CIL XIII 5078) LVGOVES "für die Luge". Die Inschrift stand auf einer mächtigen Säule, auf der vielleicht einmal ein Standbild dieser Luge war. Das sonst gänzliche Fehlen dieses früher so zentralen Gottes erkläre ich mir so, dass Lugus kein volkstümlicher Gott war, sondern vermutlich mit einer sehr komplexen Theologie ausgestattet der Hochgott der Druidenkaste war, die sich bereits 500 Jahre vor Nizäa den Kopf über die Probleme der Dreifaltigkeit zerbrach (zugegeben mit dem etwas "barbarischeren" Ergebnis des "dreifachen Todes" im Menschenopfer). Nach dem Verbot des Druidentums unter Tiberius (r. 14 bis 37 n. Chr.) war Lugus vielleicht der einzige gallische Gott, der aktiv unterdrückt wurde (ganz ähnlich wie später Wotan der einzige Gott war, dessen Name aus den Wochentagen zu tilgen man für nötig hielt).
Der Stierkopf mit drei Hörnern von Martigny (das mittlere Horn ist wohl leider abgebrochen) |
Für die Matrones ist eine Weihinschrift (CIL XIII 5158c), ebenfalls aus Allmendingen. Die Suleviae (erwähnt in Lausanne, Avenches, Bern und Solothurn) sind auch eine "dreieinige Göttin", vielleicht dieselbe wie die Matronen, vielleicht auch eher eine Art "Nornen", heisst ihr Name doch "die wohl-Leitenden" passend zu Schicksalsgöttinnen.
Sucellus war offenbar in ganz Gallien ein wichtiger Gott, identifiziert mit Silvanus und deshalb als Waldgott angesprochen. Mehrere Statuetten dieses Gottes wurden in der Schweiz gefunden, dargestellt wird er als bärtiger Mann, der in der einen Hand eine langstielige Waffe (ein Doppelhammer) und in der anderen einen Topf oder Becher hält (ein Bierkrug), manchmal ist er auch in Begleitung eines Hundes. Als "Gott mit dem Hammer" (sein Name heisst "der wohl-Schlagende", "der hart zuschlägt"...) auch ein Kandidat für "Herkules" und den späteren Donar.
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Hodlers Tell (1897) als Briefmarke (1941). War Hodler ein Seher, oder doch eher Antiquar? |
Auch von grosser Wichtigkeit ist das Zinktäfelchen, in den 1980ern in Bern raubgegraben, mit der Inschrift ΔΟΒΝΟΡΗΔΟ ΓΟΒΑΝΟ ΒΡΕΝΟΔΩΡ ΝΑΝΤΑΡΩΡ. Allein die Verwendung griechischer Schrift zeigt, dass es allenfalls nur kurze Zeit nach der römischen Eroberung datieren kann. Angesprochen ist der Schmiedegott Gobannos, auch er ist von pan-keltischer Bedeutung und überlebt im mittelalterlichen Irland als die Sagengestalt Gobán Saor. Unterzeichnet ist die Widmung von den Leuten von "Brennodurum im Aare-Tal". Der Schmiedegott erscheint hier mit einem Beinamen, als Dobnoredos Gobanos; dies wird verstanden als "Welt-Fahrer", von dubno- "Welt" und redo- "reisen, fahren". Dass der Schmiedegott auch ein "Reisender" sein soll ist etwas überraschend, und vielleicht steckt da noch mehr Kosmologie dahinter. Das redo- "reisen, fahren" (zu Rad) evoziert einen Streitwagen und damit den sonst in Gallien gut belegten (aber bei uns scheinbar nicht vertretenen) "Rad-Gott" (identifiziert mit Taranis).
Zeichnung des Berner Zinktäfelchens. Elementares Zink wurde erst im Mittelalter beschrieben (der Name stammt von Paracelsus), konnte aber in Rückständen in Schmelzöfen auftreten. Das Täfelchen wurde vielleicht aus solchen Rückständen hergestellt und könnte sehr wohl das älteste Objekt aus "reinem" Zink überhaupt sein.
Epona, die Pferdegöttin, war wohl der erfolgreichste gallische Export ins Römische Reich.
Sterckx 1986 liefert mehr als dreihundert Belege zwischen Britannien und Pannonien. Manchmal erscheint sie als Reiterin in klassischen römischen Fresken, fast wie eine weibliche Ausgabe des "Thrakischen Reiters" (der ebenfalls grosse Karriere im römischen Reich machte) manchmal einfach als Begleiterin eines oder mehrerer Pferde, denen sie schützend die Hände auflegt. Eine solche Darstellung wurde gefunden in Seegräben am Pfäffikersee, es ist eine vergleichsweise primitive Darstellung (künstlerisch niemals vergleichbar mit etwa dem Relief aus Salonika), in der die stehende Epona von vier Pferden umringt wird. Weihinschriften an Epona sind ausserdem bekannt aus Augst, Solothurn und Granges-près-Marnan.
Die Darstellung der Bärengöttin Artio dagegen lässt künstlerisch keine Wünsche offen; gefunden wurde sie 1832 bei Muri bei Bern. Die sitzende Göttin hat einen Fruchtkorb, deren Inhalt sie offenbar dem ihr gegenüberstehenden Bären (bzw. der Bärin) anbietet. Wie bei Epona, und bei Tierattributen von Göttern überhaupt, kann man sich fragen, inwieweit Artio einen Bären hat, oder vielleicht doch eine Bärin ist. Auf dem Sockel der Plastik ist die Inschrift (CIL XIII 5160) DEAE ARTIONI / LICINA SABINILLA, also "gestiftet der Göttin Artio von Licina Sabinilla".
Fund der Artio-Bronze, von Rudolf Münger (Blätter für bernische Geschichte, Kunst und Altertumskunde, ca. 1905) |
Eine Naria Nousitania ist ausserdem erwähnt in La Neuveville (CL XIII 5151)
Etwas diffuser, aber dafür im territorialen Sinn "helvetisch", sind einige lokale Gottheiten, namentlich Dea Aventia in Avenches (Aventicum), eine Quellgöttin, deren Name auch einfach "die Quelle" heisst. Aventicum ist eine römische Gründung, aber 1km südlich stand schon früher ein helvetisches Oppidum; die Quelle und die Quellgöttin könnte, könnte aber auch nicht, bereits vor der Stadtgründung verehrt worden sein. Daneben gab es auch eine Dea Geneva in Genf.
Merkwürdig ist der Name Anextlomara, offenbar eine weibliche Form des sonst männlichen Anextlomaros, eine Art Heil- oder Schutzgott, der mit Apollo gleichgesetzt wurde. Der Name wird gedeutet als "grosser Beschützer", oder in unserem Fall, "Beschützerin". Der ebenfalls apollo-artige ostgallishe Belenos scheint uns ganz zu fehlen (allenfalls steckt er hinter dem Ortsnamen Biel-Bienne). Im Zusammenhang eines gallischen Heilgottes fällt mir Telesphoros ein, bei den Griechen ein Sohn des Asklepios, der möglicherweise aus dem Kult der Galater entlehnt wurde; jedenfalls wurde er als Zwerg mit einem (aus griechischer Sicht) typisch gallischem Kapuzenmantel dargestellt (dieser Heilzwerg mit Kapuze hat nebenbeigesagt C.G. Jung sehr gut gefallen). Aber hier haben wir es mit einem apollo-artigen "grossen Beschützer" zu tun und nicht mit einem Zwerg. Die weibliche Form davon, die "grosse Beschützerin" wird in einer Inschrift in Avenches angerufen, vielleicht, ich kann nur spekulieren, zur Heilung von frauenspezifischen Gebrechen. In Augst noch eine Erwähnung der sonst eher in Gallien und entlang des Limes bekannten Sirona, eine Göttin von Heilquellen, als Begleiterin von Apollo Grannus auch mit Diana identifiziert.
Mercurius Cissonius ist erwähnt in Weihinschriften in Avenches und zweimal(!) in Promontogno im Bergell. Die eine Bergeller Inschrift (AE 1 991, 1300) wird gelesen als Mercurio [Ci]ssonio [M]a[t]utino; matutinus heisst hier wohl nicht "der morgendliche" sondern eher "der Gute", von gall. matu- "gut" (Natürlich wurde Merkur auch in seiner klassischen Form verehrt; wir haben eine schöne Darstellung eines Ziegenopfers an ihn aus Augusta Raurica).
Einen Mercurius Matutinus haben wir ausserdem in Baden und Wettingen (CIL XIII 5235 und 34c). Passenderweise begegnet uns der Beschützer der Wege bzw. Gott der Handelsreisenden nicht im helvetischen Kerngebiet um Avenches sondern entlang einer Reiseroute; aus dem Aarebecken kommt man über Baden via Limmat, Linth und den Rhein nach Churrätien und über den Julier und das Bergell schliesslich nach Mailand; oder aber entlang des Inn ins alte Noricum und letztlich an die Donau. Ein Sedatus, sonst nur aus dem Donauraum bekannt, wird in St. Moritz erwähnt.
Der andere Weg nach Süden führt über das Wallis (der Gotthardpass wird erst im Hochmittelalter erschlossen); Poeninus war bekanntlich der Schutzgott des Passes, für den nun der heilige Bernhard zuständig ist. Gnädig gestimmt wurde Peoninus durch zahlreiche Weihinschriften, vorsichtshalber mit allerlei Ehrentiteln angerufen, etwa als Iuppiter Optimus Maximus Poeninus.
Rhenus Pater war der Rhein; ob das ein gallischer (geschweige denn helvetischer) Gott sei, bleibe dahingestellt, auf jeden Fall war auch er als Transportweg von überragender und überregionaler Bedeutung. In Eschenz ist eine Inschrift [F]LVM RHENO PRO SALVTE. Der Name Rhein heisst ja (einmal mehr) einfach "Fluss", soll aber möglicherweise bereits vorkeltisch sein. Sein männliches Geschlecht ("der Rhein") ist sicher bedeutend, die meisten Flüsse sind natürlich weiblich (aber auch in der Celtica: le Rhône = der Rotten = Rodonos; der Inn = Enios; Ticinus; doch nicht:
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